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Handgezogene Bremse

Handgezogene Bremse

Bago für Autodidakten

X(BF) 23 <über die Illustration>

Es ist wieder einmal die Kunst, die der Illustration ihre schöpferische Gleichberechtigung als minderwertig vorenthält.

Wir streiten nicht ab, dass auf unsere Welt Kunst universell ist, aber auch, dass der Begriff KUNST nicht nur für das eigene und ideologisch verwandte Tun beansprucht werden darf. Nachdem es bis heute keine allumfassende und endgültige Definition dafür gibt was eigentlich KUNST sei, kann ILLUSTRATION auch Kunst sein — insbesondere, wenn man zu sagen wagen würde:

Kunst ist die Überwindung von Distanzen durch Fantasie.

Und wenn Fantasie, Humor, Geist und Handwerk nichts in der Kunst zu suchen haben, dann ist eben Illustration eine Kunst, die keine KUNST ist.

In der Kunstszene treiben sich gewissermaßen Betonköpfe herum, für die das Wort „Illustration“ übelste Blasphemie bedeutet. (Warum? Wäre interessant, es zu erfahren. Ich bin aber noch nicht bereit von Dummheit, Arroganz, Unfähigkeit und von anderen Leichen zu reden, während man selber welche im Keller hat).

Kurze Unterbrechung wegen Gedankenschwund…also,

…eine selbstgefällige Moderne schafft es, kreative Potentiale einzuschüchtern. Andersrum: Falls Talente erkannt werden, sind sie meistens unerwünscht, da die Konzepte der Vermarktung den gängigen Geschmäckern unterworfen sind. (Ein anderes Kapitel ist, wie Geschmack gezielt gebildet wird). Darüberhinaus haben die wenigsten Verleger eine Ahnung von Illustration.

Jedoch alles fließt. Das Prinzip YING & YANG dürfte bekannt sein.

Allein die Tatsache, dass etwas übermächtig geworden ist, trägt in sich den Kern des Gegengewichts, der Umkehrung. In der Tat — die Zeiten ändern sich und erheben Anspruch auf Modernisierung; gleichzeitig steigt das Bedürfnis, wieder einmal Bleistift und Schere in der Hand zu spüren. In jeder Erneuerung reift das Archaische — sprich: etwas, das auf das Wesen des Menschen verweist — denn alles Neue hat nur dann Gültigkeit, wenn es in anderer Form schon immer da war und sich existentiell längst bewährt hat.

Computer hin, Computer her.

Wie entsteht eine Illustration? Nehmen wir an, es heißt: Wenn sich eine gute Idee im Sinne einer Erzählung in künstlerischer Umsetzung verwirklicht.

Erst recht erfährt die Illustration ihren Stellenwert als gleichberechtigte Partnerin zum Text denn ist sie schließlich nicht seine Krücke. Die anspruchsvolle Darstellung ist selbst zu lesen. Sie gehört nicht zur Flut der schnellen und fertigen Bilder einer kommerziellen Verseuchung. Eine Menge erstklassige Illustrationen gereichen ihren künstlerischen Anspruch und werden selten veröffentlicht. Im Vergleich wird dennoch sehr vieles veröffentlicht, das unter Zeitdruck entstanden ist und schlecht bezahlt wurde.

Wer kann sich da schon mit handwerklicher Qualität und inhaltlichen Werten behaupten, die weit zurückgreifender Tradition verpflichtet sind — und das in einer Zeit, die in naher Zukunft für das bedrohliche Abnehmen jener Werte berüchtigt sein wird.

Grundsätzlich könnte man jeden gewählten Text illustrieren, denn jeder Text löst Bilder, Visionen und Assoziationen aus, die in entsprechender Umsetzung den Text um gewisse Aspekte bereichern können.

Mich interessiert vor allem jene Illustration, die das geheime Wesen des geschriebenen Wortes inszeniert, sprich eine Arbeit, die über eine sowohl emotionale wie intellektuelle Auseinandersetzung dem Text eine neue Dimension einräumt. Dabei geht es nicht um zeichnerische Wiederholung der sprachlich bereits formulierten Bilder, sondern um den feinstofflichen Gehalt des Textes.

Bagosophisch würde es heißen: … durch die Metapher eigener Methode erkennen lassen, dass sich der Schaffende um die Überwindung der Logik des linearen Denkens bemüht. Die Illustration von bagonal geprägten Texten verpflichtet sich Verknüpfungen zwischen Text und Bild zu schaffen, die für den Betrachter und Leser etwas Drittes entstehen lassen. Also Verknüpfungen, die aus zwei und mehr gestalterisch zusammengefügten Komponenten eine dritte gebärt, die der aufmerksame Beobachter assoziieren könnte. Der erkannte Zusammenhang zwischen den Elementen einer Illustration und der Nachvollzug des verborgenen Drahtes in der Darbietung bescheren sowohl dem Betrachter, wie auch dem Schaffer ein gewisses Erfolgserlebnis, welches im gegenseitigen Gespür für die Sache zuzwinkernd aufgehen möge.

Und so weiter über vielen Seiten. Anschließend: Ende des Vortrags.

Dreiunddreißig Jahre lang habe ich an der Fakultät Gestaltung in Würzburg Illustration unterrichtet und es darf eine Kritik im unüblichen Sinne am Werk der Studierenden nicht fehlen. Diese wären nicht meine Studenten, wenn sie mir folgenden Schabernack übel nehmen würden:

Die handgezogene Bremse

In den Arbeiten der Studierenden ist manches sowohl als auch vorhanden, obwohl eine kleine Unterscheidbarkeit in der isolierten Anwendung charmanter Formensprache mit erkennbar humanistischer Ambition nicht zu missdeuten ist.

Die ausgezeichnete Anwendung des nicht geringen Innovationspotentials nach EU-Norm wird durch die allgemein wohltuende Sinnfälligkeit der Farbgebung hervorgehoben. Die fast viereckigen Darstellungen erklettern sich auf der Scala der Formate zu einer interessanten Stilübung, die im Verborgenen kaum so einfach erscheint wie es vielleicht den Anschein haben mag. Es ist ein gewagter Versuch, die Errungenschaften des Kommunikation-Designs in seiner doktrinärsten Erscheinung zu unterminieren, obgleich wir keineswegs der Verwaltung treu zu sein brauchen, wenn wir uns einzig den Idealen der Gestaltung verpflichtet haben.

Es wird deutlich, dass manche Arbeiten auf die Meisterschaft ihrer Ausführung vertrauen, ohne sich dabei in unkoordinierte Spielereien zu verlieren, während andere, durch reduzierte, nachvollzugswürdige Kreationen, die gelegentlich etwas modisch wirken, das Spektrum der Kollektion, durch fleißige und kluge Schöpfungen, zu ergänzen bemüht sind.

Die nicht unzulässige Verlagerung der bagonalistischen Problematik auf andere Themenkreise trägt zur Milderung von trivialen Tendenzen bei und schafft somit den volkstümlichen Bewertungsmodus ab, der die Richtlinien des Instituts für Bagonalistik unter paradigmatischen Aspekten fehlgeleitet hätte.

Als erfreulich darf jedoch die kompromisslose Reinheit der Hingabe und das Anhäufen stichhaltiger Argumente innerhalb des Gesamtergebnisses dieser Werke bewertet werden.

Im einzelnen sind das eigenwillige, aber auch nicht unklassisch durchkomponierte Gestaltungen mit dem erfrischend radikalen Ansatz, das Weltbild zu simplifizieren, indem eine feine Modulation zwischen gewaltigen Gefühlszuständen sichtbar gemacht wird, die z.B. zu beobachten wäre, wenn man versuchen würde, Piktogramme mit Aktfotos zu vergleichen.

Es fehlt einfach an manierlicher Ausführung und die Form bleibt verhalten, der Inhalt ist nicht überladen und das künstlerische in seinem Element ist autonom:

Eine geschickte Art, sich der Parodie auf Kritik zu entziehen.

Der bagonalistische Text ist oft die vergebliche Illustration seiner selbst.

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